Er kennt „die Prozesse des Entdeckens, des Betrachtens, des Erkennens, des Begehrens und des Erwerbens“ im Bereich des Kunstmarktes sehr genau, er weiß um die Widersprüche zwischen dem Geldgetöse und dem, worum es eigentlich gehen sollte. Denn Otto Hans Ressler arbeitet seit 43 Jahren im Kunstmarkt, ist Experte für zeitgenössische Kunst, Auktionator, geschäftsführender Gesellschafter der Wiener „Ressler Kunst Auktionen“ und Autor zahlreicher Publikationen zum Thema Kunst. Sein neuestes Buch trägt den Titel „Dort endet unsere Kunst“. Darin berichtet Ressler davon, was ihm an der Kunst wichtig ist, und er ordnet seine Gedanken in acht Kapitel: „Der Markt“, „Die Sammler“, „Qualität“, „Die Gegenspieler“, „Die Authentizität“, „Die Künstler“, „Der Sinn“ und „Die Wirkungen“. Die Ungewissheiten des Werts kommen in seinen Überlegungen genauso vor wie die Irrationalitäten des Kunstmarkts, und er setzt sich mit der Definition, was denn Kunst überhaupt sei, auseinander.
Zwischendurch erzählt Otto Hans Ressler Geschichten aus den vielen Jahren, in denen er mit Kunst und kunstaffinen Menschen zu tun hatte. Er kritisiert auch, zum Beispiel das Ausfuhrverbotsgesetz für Kunst, er hinterfragt Trends. Er ist überzeugt, dass die Wahrnehmungsfähigkeit für zeitgenössische Kunst stets individuell entwickelt werden muss. Und dann, wenn wir wahrnehmen, uns einlassen, zulassen, dass das Kunstwerk zu uns spricht, verspricht er „Freude, Hochgefühl, Erkenntnisgewinn“. Kunst zu betrachten, höre sich nur passiv an, in Wahrheit seien wir dabei höchst aktiv.
Ressler hilft einem, sich in der heutigen Kunstwelt zurecht zu finden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem österreichischen Kunstgeschehen. Das Vorwort zum Buch verfasste der Maler Peter Pongratz, der allerdings den österreichischen Kunstmarkt klein und unbedeutend findet, ohne das geringste Selbstbewusstsein, und außerdem stets orientiert an den Avantgarde-Vorgaben aus dem berühmten und reichen Kunst-Ausland. Dazu meint Otto Hans Ressler:
Ressler: Ich denke, dass Peter Pongratz hier ein bisschen zu kritisch ist. Natürlich trägt der österreichische Kunstmarkt nur einen winzigen Bruchteil zum weltweiten Markt bei. Aber pro Kopf der Bevölkerung sieht das schon ganz anders aus. Und auch die österreichischen Künstler sind in den internationalen Rankings, was die Intensität ihrer Ausstellungen anlangt, hervorragend gereiht – 5 unter den ersten 50 (Wurm, West, Valie Export, Rainer, Zobernig). Maria Lassnig rückt immer weiter vor, und Hermann Nitsch steht unmittelbar vor der Aufnahme in die Top 100.
Holzer: Welche Rolle spielt denn der österreichische Kunstmarkt? Sie zeigen doch in Ihrem Buch an vielen Beispielen, dass er recht präsent und vielfältig ist, aber: Ist das alles nur weltberühmt in Österreich oder spielen außerhalb der Grenzen dieses Landes Angeli, Staudacher, Prachensky und all die anderen, die Sie anführen, auch eine Rolle?
Ressler: Erst nach der Drucklegung des Buches ist mir ein Ranking in die Hände gefallen, mit dem Galerien nach ihrer Bedeutung – der Bedeutung der Künstler, die die Galerie vertritt – gereiht werden. Nr.7 ist die Galerie Ropac, Nr.11 Krinzinger, Nr.12 nächst St. Stephan. Zumindest diese drei Galerien sind internationale Player. Das Phänomen „weltberühmt“ im eigenen Land zu sein, ohne dass das über die Grenzen wirkt, ist etwas, das man überall beobachten kann. Jedes Land hat seinen überschaubaren Kreis von Künstlerinnen und Künstlern, die national sehr bekannt sind. Und es ist nicht so, dass das in den großen Ländern wie den USA anders wäre. Für mich ist es immer wieder erstaunlich zu sehen, dass die nationale Bekanntheit mit der internationalen Bekanntheit oft nicht übereinstimmt.
Holzer: Sie schreiben, dass Ihnen in Österreich noch kein Mensch untergekommen sei, der mit Kunst spekuliert. Warum sollte es so jemanden gerade in Österreich nicht geben?
Ressler: Ich arbeite seit 43 Jahren im Kunstmarkt, und ich habe natürlich Leute kennengelernt, die mit den Preisen, die sie für ihre Bilder bezahlt haben, und mit den Preisen, die diese jetzt kosten, prahlen. Ich möchte Jenö Eisenberger zitieren, der einmal gesagt hat, mit dem Lebensmittelhandel habe er viel Geld verdient, aber „reich“ sei er mit der Kunst geworden. Er hat sogar manchmal etwas verkauft, der Kaufmann in ihm konnte nicht anders. Aber seine Sammlung ist heute, viele Jahre nach seinem Tod, unversehrt erhalten geblieben, weil seine Tochter ganz genau weiß, dass er im Grunde nie verkaufen wollte. Nein, Spekulation ist hierzulande kein Problem, noch nicht, möchte ich hinzufügen und hoffen, dass wir in dieser Hinsicht eine Insel bleiben.
Holzer: Abschließend noch die Frage nach dem Titel des Buches „Dort endet unsere Kunst“, der ja eher pessimistisch klingt. Wo ist denn dieses „dort“? Wann tritt denn dieses „dort“ ein?
Ressler: Der Titel geht auf ein Zitat im Roman „Das unbekannte Meisterwerk“ von Honoré de Balzac zurück. Balzac beschreibt darin die Ratlosigkeit, ja, das Entsetzen der Fachwelt angesichts eines abstrakten Gemäldes – 80 Jahre bevor Wassily Kandinsky das erste abstrakte Gemälde tatsächlich malte. Denn eigentlich bin ich überzeugt, dass die Abstraktion nicht das Ende der Kunst, sondern ein neuer Anfang ist. Mehr als 100 Jahre Kunstgeschichte seit 1912 lassen daran eigentlich keinen Zweifel offen.
Otto Hans Ressler: Dort endet unsere Kunst. Mit einem Vorwort von Peter Pongratz. edition splitter, Wien 2021.